Social
Media
Stresstest
Mit einer virtuellen
Krise im Web
Mitarbeiter für
Community Management
sensibilisieren.
Bei einem Social Media Stresstest trainieren Personen die Kommunikation mit Kritikern. Innerhalb einer nichtöffentlichen Social-Media-Plattform wird die Beantwortung kritischer Postings geübt.
Social Media Stresstest – das klingt anstrengend und furchtbar ernst. Ist es auch. Dennoch gehört der Social Media Stresstest zu meinen Lieblingsformaten und den absoluten Highlights in der Zusammenarbeit mit Unternehmen.
Wie bereite ich einen solchen
Social Media Stresstest vor?
Worum geht es?
Damit ein Social Media Stresstest stattfinden kann brauche ich zwei Dinge: Briefings für die Teilnehmer und eine von der Außenwelt abgeschottete Trainingsumgebung.
Als erstes kümmere ich mich um die Briefings. Ich habe mir angeschaut, welche Themen das Unternehmen und seine Mitarbeiter sowie Kunden beschäftigt. Ich war auf Facebook und auf anderen Social Media Channels unterwegs, um zu sehen, wie beide Seiten miteinander kommunizieren. Nicht zuletzt habe ich mich beim Verantwortlichen im Unternehmen nach Reizthemen erkundigt und um ein paar brisante Beispiele gebeten.
Ideal ist es, wenn man das Unternehmen vor der Detailkonzeption des Stresstests schon etwas besser kennt.
Dieses Wissen sowie Erfahrungswerte nutze ich dann, um kreativ zu werden. Ich stöbere in Stockfoto-Datenbanken wie Pexels und Unsplash, suche ausdrucksstarke Fotos von Einzelpersonen, die sich als Persona eignen.
Wie bei der Vorbereitung auf Vorträge und Workshops sind es auch beim Social Media Stresstest mitunter Bilder aus solchen Datenbanken, die mich inspirieren.
Gesichtsausdruck und Indizien für die Zugehörigkeit zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen, die in den Abbildungen stecken, bringen mich auf zusätzliche Ideen.
Dann sind die Personenprofile für den Social Media Stresstest vorbereitet.
Ich stelle mir eine Auswahl passender Fotos virtueller Personen zusammen, überlege, wie ich sie sozial einordne, welche Nutzernamen ich Ihnen gebe. Im Grunde genommen ist das mein virtuelles Casting für den Stresstest.
Ich caste Personen aus Stockfotos. Die Fotos lege ich ab, benenne sie entsprechend.
Ich lege im nächsten Schritt fest:
Personenprofil
Die grundsätzlichen Eigenschaften des entsprechenden virtuellen Nutzers. Wie ist die Person drauf? Hierzu gehören Beruf oder Aussbildungsstand, Alter, Herkunft, Interessen etc. Es kann sich sowohl um frei erfundene Personen handeln, die zum Unternehmen gehören, als auch um Externe.
Ziele
Die Ziele des virtuellen Nutzers. Was möchte der Inhaber des Accounts erreichen? Möchte er eine Kulanzhandlung des Unternehmens erzwingen? Nur Schaden anrichten? Auf sich oder einen Missstand aufmerksam machen?
Background
Hintergrundinformationen: Gehört der erfundene Account wirklich einer echten Person? Oder ist es im Rahmen meines Spiels – nichts anderes ist der Social Media Stresstest – womöglich ein Fake Account, ein Troll-Account oder ein Profil, das von mehreren Personen gemeinsam betrieben wird, um bestimmte Ziele zu verfolgen? Alles ist möglich.
Der Reiz des Unerwarteten macht den Social Media Stresstest spannend
(Diesen Aspekt soll auch das Foto symbolisieren – eine Orange ist orange, aber wir möchten beim Stresstest ja das Unerwartete liefern – als Quelle für Inspiration und Schlussfolgerungen.)
Ich baue auch gerne einige virtuelle Extrem-Personen ein. Das bringt ein wenig mehr Spaß. Zum Beispiel einen Fake Account „Kundenservice“, der Anfragen illegitim und in böser Absicht beantwortet.
Oder einen Mitarbeiter, der sich nicht an die Spielregeln hält und eigenmächtig – dabei natürlich sehr unkonventionell – Anfragen auf der Facebook-Seite beantwortet und dabei noch eine persönliche Agenda verfolgt (Flirten zum Beispiel).
Horror-Szenario jedes Social Media Managers.
Ziel, Charakter, Vorgeschichte, Vorgehensweise, Verhaltensanweisungen, Foto der Person: All das kommt auf mein Briefing Sheet zur entsprechenden virtuellen Person.
Da die Teilnehmer des Social Media Stresstest angehalten sind, sich gegenseitig nicht zu verraten, in welche Rolle sie schlüpfen, steckt das Ganze voller Unwägbarkeiten. Es kommt zu Überraschungen, was einerseits für Heiterkeit sorgt, andererseits ungemein inspiriert.
Da mir wichtig ist, dass die Teilnehmer auch emotional dabei sind, gebe ich mir mit dem Briefing Sheet ein wenig mehr Mühe; es soll nicht wie ein ausgedrucktes Word-Dokument aussehen, sondern ein wenig netter.
Die Person wird nicht klein rechts oben im Eck abgebildet, sondern schön groß und vollformatig (Pexels, Unsplash & Co. geben das ja zum Glück her mit ihren sehr hohen Auflösungen).
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dies plus eine humorvolle Formulierung des Briefings total dazu beitragen, dass die Teilnehmer beim Stresstest mehr Spaß haben, sich identifizieren und motiviert dabei sind.
Anfängliche Skepsis weicht dem „Spaß am Spiel“, Vertrauen entsteht. („Der will ja nur spielen.“)
Technische Plattform für den Social Media Stresstest
Nächster Schritt: Die technische Umgebung. Der Social Media Stresstest soll auf einer möglichst vertrauten, intuitiv und voriges Training bedienbaren Plattform stattfinden, die nicht öffentlich erreichbar ist und möglichst an bekannte Social Media Software wie Facebook und Vergleichbares erinnert.
Es gibt eine große Auswahl an Open Source Software, die diese Anforderungen erfüllt – mit mehr oder weniger Anpassung und Mühe bei der Installation.
Wenn man einige Erfahrung auf dem Gebiet gesammelt hat und die Auswahl verfügbarer Software zur Erstellung eines solchen Facebook-Klons kontinuierlich beobachtet, dann verdichtet sich die Auswahl möglicher Software-Lösungen rasch auf eine Handvoll Lösungen.
Die Software will, gerade, wenn der letzte Stresstest schon einige Monate her ist, erst einmal auf ihren aktuellen Stand getestet werden. Läuft sie in der aktuellen Version noch ordentlich? Kann ich davon ausgehen, dass meine Stresstest-Teilnehmer damit klarkommen werden? Denn wenn die Hälfte der Zeit für Fragen wie: „Wo muss ich klicken?“ verwendet wird, dann nimmt das die Dymanik aus der Sache.
Also: Am besten rechtzeitig mit dem Testen beginnen. Es ist erstaunlich, welch schöne Lösungen es hier gibt.
Das gilt vor allem, wenn der Stresstest in sehr kurzer Zeit stattfinden soll. Der kürzeste Social Media Stresstest, den ich je durchgeführt habe, war mein jüngster: Ein Durchgang (es waren insgesamt drei Gruppen) dauerte nur eine Stunde. Das ist echt knapp.
Dann geht es an die Einrichtung: Ich lege die Nutzer im Systen an, die ich mir im Rahmen meines oben beschriebenen „virtuellen Casting“ für den Social Media Stresstest ausgedacht habe. Ich richte ein Pendant zur Facbook-Seite des Unternehmens, bei dem der Social Media Stresstest stattfinden soll, in meinem abgeschotteten Social Network (Facebook-Klon, den Teilnehmern erkläre ich es mit: „Ich habe ein Fakebook für Sie gebaut“) ein.
Jeder Nutzer erhält ein Profilbild. Ich teste, ob die Interaktion zwischen den Nutzern und meiner virtuellen Unternehmens-Fanpage auch funktioniert. Der Community Manager sollte auch die Möglichkeit haben, Postings zu löschen, denn auch das gehört zum Handwerkszeug in der Krise.
Ein paar Direktnachrichten und Freundschaftsanfragen werden ausgetauscht, ein paar gegegnseitige Likes vergeben – damit sicher ist, dass mein virtuelles Social Network im Rahmen des Stresstests dann auch einwandfrei funktioniert.
Irgendwann bin ich mit der Plattform zufrieden: Die Vorbereitung ist fast abgeschlossen.
Sicherheit für die Stresstest-Plattform
Je nach Wunsch des Kundenunternehmens lässt sich die Sicherheitsstufe gegen unbefugte externe Zugriffe auf die Stresstest-Plattform anpassen.
- Guten Schutz bietet beispielsweise ein .htaccess-Verzeichnisschutz auf Webserver-Ebene.
- Ebenfalls denkbar: den Zugriff auf die Plattform per IP-Adresse limitieren, sofern das Kundenunternehmen eine statische IP hat. Dann ist der Zugriff letztlich ähnlich geregelt wie beim Intranet – man kann das Ding eben nur aufrufen, wenn man das via IP-Adresse des Kundenunternehmens (oder der Agentur) versucht.
- Natürlich sichere ich die Installation mit einem gültigen SSL-Zertifikat, denn die Kommunikation im Rahmen des Social Media Stresstests soll ja nicht unverschlüsselt und für jeden mitlesbar übertragen werden.
- Nachdem die Stresstest-Plattform fertig in Form und starklar ist: am besten komplett offline nehmen / sperren bis einige Stunden vor dem tatsächlichen Stresstest, um jede Form von Angriffen von außen auszuschließen.
- Die Alternative ist natürlich, sofern die Möglichkeit gegeben ist: den Webserver mit der Plattform für den Social Media Stresstest direkt im Intranet / LAN installieren und erst gar nicht mit dem Internet verbinden. Allerdings ist das nicht immer möglich. Wenn die IT des Kundenunternehmens Zeit und Lust hat, dann kann man den Webserver mit dem Testsystem vorab vorbereiten und am Tag X ins Unternehmen mitbringen. Allerdings habe ich dieses Szenario bislang so noch nie durchexerziert.
Wenn ich besonders vorsichtig sein möchte (also regelmäßig), dann verwende ich im Rahmen des Stresstests nicht den echten Namen des Unternehmens, sondern einen verfremdeten – just in case, denn jede Plattform, auch sei sie noch so sicher, kann ja gehackt oder durch technische Fehler öffentlich werden und womöglich im Google-Index landen. Wenn ich nicht den richtigen Unternehmensnamen verwende, dann habe ich für diesen Fall, den ich zum Glück noch nie erleben musste, einen doppelten Boden. Selbst im Fall eines solchen Lecks würden die Debatten bei Recherche nach dem Unternehmensnamen nicht im Google-Index auftauchen, denn das wäre fatal.
Manchmal muss ein Social Media Stresstest in mehreren Durchgängen stattfinden. Wenn mehrere Gruppen das gleiche Procedere durchlaufen sollen, dann ist es von Vorteil, über eine passende Serververwaltungskonsole (oder entsprechende Kenntnisse) zu verfügen, damit man die einmal fertig eingerichtete Stresstest-Plattform klonen kann. Dann hat man, wenn der Stresstest mit Gruppe 1 erledigt ist, ohne zeitraubendes Löschen von dieser Gruppe geposteter Inhalte gleich eine zweite und dritte Installation zum Weitermachen nach der Pause.
Es hat sich bewährt, zu diesem Zweck mehrere Subdomains anzulegen und die Installation der Stresstest-Plattform, nachdem sie einmal eingerichtet ist, auf die zusätzlichen Subdomains zu klonen. Mit der richtigen Software klappt das innerhalb kurzer Zeit.
Social Media
Stresstest:
Erfahrungswerte
Ein Social Media Stresstest ist keine Übung, die ich alle zwei Wochen absolviere. Es kommt etwas seltener vor, dass er beauftragt wird.
Ich wünschte mir, mehr Unternehmen würden die Prioritäten richtig setzen und ihre Teams zu einer solchen Simulation einladen.
Dennoch habe ich bereits einige dieser Trainings absolviert, und die Erfahrung war stets sehr erfreulich. Der spannende Social Media Stresstest bleibt bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern hängen, und zwar langfristig. Insbesondere folgende Aspekte:
- Jede(r) Teilnehmer(in) wird unmittelbar mit den eigenen Stärken und Schwächen konfrontiert und reflektiert diese.
- Die Dynamik, die Debatten in Social Networks entfalten können, wird unmittelbar erlebt und langfristig abgespeichert.
- Das höhere Management wird sensibilisiert, denn es erfährt regelmäßig von dieser unkonventionellen Trainingsmaßnahme.
- Alle Teilnehmer, abteilungsübergreifend, werden dafür sensibilisiert, unter welchem Druck und welcher Verantwortung Social Media Manager stehen. Oft höre ich: „Jetzt verstehe ich, was die im Social Media Team leisten müssen.“
- Das Verständnis dafür, dass verbindliche und effiziente Prozesse für das Management von Social-Media-Krisen geschaffen werden, ist nach Abschluss des Social Media Stresstests in der Regel ausgeprägter als vorher.