Texten für Suchmaschinen gehört nicht zu den beliebtesten Übungen der schreibenden Zunft. Oder haben Sie schon Journalisten von einem Seminar über suchmaschinengerechtes Schreiben schwärmen hören? Eher das Gegenteil trifft häufig zu.
Journalisten und Autoren fühlen sich gegängelt von allzu invasiven Tipps und Ratschlägen, die gut gemeint sind, aber letztlich dazu führen können, dass Texte sich nicht mehr natürlich anfühlen. Texte, die allzu sehr auf „suchmaschinenfreundlich“ getrimmt wurden, wirken schnell minderwertig.
Wenn selbst weniger mit SEO befasste Leser das Gefühl beschleicht:
„Dieser Text ist ein SEO-Text“,
dann wird es kritisch. Dann geht Vertrauen verloren, und zwar bei den menschlichen Besuchern der entsprechenden Website, aber unter Umständen auch bei den Suchmaschinen, die längst darauf optimiert sind, „über-optimierte“, opportunistisch nur zu SEO-Zwecken erstellte Texte zu enttarnen und mit Missachtung zu strafen.
SEO-Mythen zum Texten für Suchmaschinen: Gekommen, um zu bleiben
Dennoch, wie es bei Mythen so ist, hangeln sich zahlreiche eher schädliche als nutzbringende Ratschläge munter von Jahr zu Jahr. Sie sind nicht dorthin zu kriegen, wo sie hingehören – nämlich in Ablage P, Abteilung: SEO-Mythen.
SEO-Mythen führen zu Keyword Stuffing und Füllwörter Bashing
Nicht selten sind SEO-Mythen Ausgangspunkt für die massive Verunstaltung von Texten. Das beginnt beim Keyword Stuffing. Der zur SEO-Höchstleistung genötigte Texter hat den Begriff, zu dem der Text in Suchmaschinen auffindbar sein soll, mit einer definierten Häufigkeit im Text unterzubringen, und zwar insbesondere an exponierter Stelle.
Zur Folge hat das eine geringere Vielfalt des Ausdrucks. Statt ab und zu ein Synonym zu verwenden wird sich wiederholt. Die letzten drei Wörter des vorigen Satzes, „… wird sich wiederholt“, wären bei einem Text, der anhand gängiger SEO-Mythen optimiert wird, ebenfalls nicht denkbar. „Passiv-Konstruktion“, würde das Suchmaschinen-Tool sofort meckern, dabei aber übersehen, dass die Passiv-Konstruktion in diesem Fall eine subtil ironische Würze in den Satz bringt. Freilich – nicht für jeden SEO-Optimierungsbot sind solche Nuancen wahrnehmbar.
Noch schlimmer: Tools, die Füllwörter anmeckern. Ich kenne ein sogenanntes WDF*IDF Tool, für das Unternehmen im Rahmen einer Content Marketing Suite richtig viel Geld bezahlen, das würde folgenden Satz nicht durchgehen lassen:
„Sowohl junge als auch berufserfahrenere SEO-Experten erzählen manchmal großen Mist.“
Das Tool würde in diesem Satz mehrere Füllwörter anmeckern, u. a. das „auch“. Schnell wird klar: von „Künstlicher Intelligenz“ sind wir nicht nur in nahezu allen weiteren Lebensbereichen noch sehr, sehr weit entfernt, sondern auch und insbesondere im Bereich des SEO Check Software für Texte.
Stoppt den Stoppwörter-Wahn!
Dass ein zwanghaftes Achten auf die Frequenz und Dichte von sogenannter Stoppwörter in Texten keinesfalls notwendig ist haben Google-Vertreter auf der Google Webmaster Conference Ende 2019 wieder bestätigt. Im Gegenteil empfehlen Google-Mitarbeiter inzwischen, man solle natürlich schreiben. Parallel investiert die Suchmaschine in Soft- und Hardware, die menschliche Sprache noch besser verstehen soll als bisher. Ein entsprechendes Update, das jüngst ausgerollt wurde, trägt den Namen „BERT“ (Bidirectional Encoder Representations from Transformers).
Die ominöse 1.000-Wörter-Regel
Doch das Schlimme ist ja, dass nicht nur Bots und Maschinen Sprachbegabte und Texter quälen. Auch in den Köpfen sehr kompetenter Menschen haben sich die überflüssigen, meist gar schädlichen Regeln für suchmaschinengerechtes Schreiben festgesetzt.
„Kein Text unter 1.000 Wörtern!“
Das ist einer der Mythen, die sich mit am hartnäckigsten halten neben der Sache mit den angeblich so schlimmen Füllwörtern. Nachdem die Falschinformation jahrelang in SEO Workshops hoch und runter gepredigt wurde ist die 1.000-Wörter-Regel in vielen Unternehmen in Stein gemeißelt. Daher sitzen dann Redakteure mit Schweißperlen auf der Stirn in ihren Schreibstuben, verzweifeln daran, dass doch eigentlich das Thema erschöpfend behandelt ist, der Text bislang aber nur 698 Wörter hat.
„Wie kriege ich den Text nur auf die gewünschte Länge?“ fragt sich der Texter. Sie ahnen schon; so manche Redundanz findet so Eingang in zuvor noch ganz auf den Punkt gebrachte Online-Texte. Und hoffentlich kein Auffüllen auf die gewünschte Länger per Copy & Paste.
Wobei das mit der Textlänge schon früher ein Problem war. Die Unsitte, Journalisten nach Textlänge zu bezahlen, ist ein mehr als fauler Kompromiss, sagt doch die Länge eines Texts weder etwas über seinen Informations- oder Unterhaltungswert noch über seine sonstige Qualität aus.
SEO-Mythen zum „Texten für Suchmaschinen“ schaden dem Web
SEO-Mythen zum angeblich idealen „Texten für Suchmaschinen“ schaden dem Web. Sie schaden auch den Unternehmen, die sich an solche Ratschläge halten. Und zwar dann, wenn Texte dadurch erkennbar verunstaltet werden; wenn sie zu lang, zu abgehackt, zu redundant und ausschweifend werden. Das ergibt dann keinen Sinn. Leser sind enttäuscht und wenden sich ab, und auch der erhoffte Effekt für ein gutes Ranking in den Suchergebnissen lässt auf sich warten.
Zielführend sind mit Herz und Verstand geschriebene Texte, die Persönlichkeit des Unternehmens und / oder des Autors repräsentieren. Texte, die entweder unterhaltsam sind oder einen Mehrwert bieten – oder beides.
Aber einem Text, der mir zwischen den Zeilen verrät: „Meine Haupteigenschaften sind hohe Keyword-Dichte, wenige Füllwörter, und mehr als 1.000 Wörter bin ich auch noch lang“, dem sage ich: „Lass mal, ich habe keine Zeit, dich zu lesen.“
Update vom 02.06.2021: Dass Füllwörter die Auffindbarkeit von Texten nicht behindern, zeigt die Tatsache, dass ein Journalist des WDR den Beitrag, den Sie gerade lesen, gefunden und mich zu dem Thema interviewt hat – obwohl gerade dieser Text nur so vor Füllwörtern strotzt. Witzig! Ich freue mich auf die Sendung, die in einigen Wochen ansteht, und verlinke sie dann an dieser Stelle.